Kategorien
Landkreis

„Schulsozialarbeit ist ein unverzichtbares Angebot im heutigen Bildungssystem“

In letz­ter Zeit liest man öfter über Schulsozialarbeit im Erzgebirgskreis, meist steht dann die Stelle der Schulsozialarbeiterin oder des Schulsozialarbeiters auf der Kippe, da kein Geld (mehr) dafür da ist.

Was ist Schulsozialarbeit genau, was bringt sie, ist sie Luxus oder ein Muss? Diese und wei­te­re Fragen haben wir an die Duale Hochschule Sachsen, Staatliche Studienakademie Breitenbrunn geschickt. Lehrende des Studiengangs Soziale Arbeit haben sie beantwortet.


1. Was ist eigent­lich Schulsozialarbeit?

Schulsozialarbeit ist ein pro­fes­sio­nel­les Unterstützungsangebot an Schulen, das Schülerinnen und Schüler in ihrer per­sön­li­chen, sozia­len und schu­li­schen Entwicklung stärkt, Konflikte bear­bei­tet und als Bindeglied zwi­schen Schule, Elternhaus und Jugendhilfe wirkt.

Schulsozialarbeit ist durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz vom 09. Juni 2021 als eige­ner Paragraf (13a SGB VIII) in den Kanon der Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe auf­ge­nom­men wor­den. Damit legi­ti­miert sich der Auftrag der Sozialen Arbeit, an Schulen sozi­al­päd­ago­gisch wirk­sam zu werden.

2. Wie unterstützt die Schulsozialarbeiterin ein­zel­ne Schülerinnen und Schüler?

Die Schulsozialarbeiterin unterstützt ein­zel­ne Schülerinnen und Schüler, indem sie ihnen in einem geschützten, ver­trau­li­chen Rahmen als Ansprechperson zur Verfügung steht. Sie bie­tet indi­vi­du­el­le Beratungsgespräche an, in denen per­sön­li­che, schu­li­sche oder fami­liä­re Anliegen the­ma­ti­siert wer­den kön­nen. Dabei geht es sowohl um die Stärkung sozia­ler Kompetenzen und per­sön­li­cher Ressourcen als auch um die Bearbeitung von Konflikten, Krisen oder Belastungssituationen.

Der Vorteil einer Sozialpädagogischen Unterstützung liegt dar­in, dass jun­ge Menschen nicht nur in ihrer Rolle als Schülerinnen und Schüler betrach­tet wer­den, son­dern als jun­ger Mensch in einer beson­de­ren Lebensphase (Kindheit, Jugend). Durch die­sen ganz­heit­li­chen Blick (unab­hän­gig von schu­li­schen Leistungen und Bewertungen) ist es mög­lich, ein Vertrauensverhältnis auf­zu­bau­en, was für Lehrkräfte in der Regel ver­wehrt bleibt.

3. Welche Vorteile bie­tet die Schulsozialarbeit für die gesam­te Schulgemeinschaft?

Schulsozialarbeit trägt dazu bei, ein posi­ti­ves Klassenklima zu för­dern, indem sie prä­ven­tiv arbei­tet, Konflikte frühzeitig bear­bei­tet und das sozia­le Miteinander stärkt. Durch Projekte, Trainings und Gruppenangebote unterstützt sie Teamfähigkeit, Toleranz und respekt­vol­le Kommunikation inner­halb der Schülerschaft.

Geht es den ein­zel­nen Schülerinnen und Schülern gut, steigt auch das Wohlbefinden aller Menschen, die in einer Schule wir­ken. Problemlösungen, die in einem Aushandlungsprozess auf Augenhöhe mit den jun­gen Menschen ent­wi­ckelt wer­den, sind dabei in der Regel nach­hal­ti­ger als Anordnungen und Konsequenzen von Autoritätspersonen wie der Lehrkraft.

Für Lehrkräfte bedeu­tet Schulsozialarbeit eine Entlastung, da sie in her­aus­for­dern­den Situationen bera­tend und ver­mit­telnd zur Seite steht. Eltern wie­der­um pro­fi­tie­ren von einer nied­rig­schwel­li­gen Anlaufstelle, die bei schu­li­schen und fami­liä­ren Fragen Orientierung bietet.

Schulsozialarbeit ist jedoch nicht dafür ver­ant­wort­lich, Lehrkräfte in ihrem Bildungsauftrag zu ent­las­ten und Unterrichtsausfall zu kom­pen­sie­ren oder for­ma­le Bildungsangebote zu entwickeln.

4. Mit wem arbei­tet die Schulsozialarbeiterin zusammen?

Schulsozialarbeit rich­tet sich in ers­ter Linie an die jun­gen Menschen. Um die Zielstellungen (sie­he Punkt 2) zu errei­chen, koope­riert Schulsozialarbeit auf unter­schied­li­chen Ebenen: inner­halb der Schule (mit Lehrer:innen, der Schulleitung, päd­ago­gi­schem Personal), mit den Familien der jun­gen Menschen und (bei Bedarf) mit exter­nen Institutionen (z. B. Beratungsstellen).

5. Lässt sich bewer­ten, wel­chen Effekt Schulsozialarbeit ganz kon­kret hat?

Schulen, die schon lan­ge eine Schulsozialarbeiterin haben, berich­ten posi­ti­ve Effekte. Exemplarisch kön­nen die Ergebnisse der „Prozessbegleitenden Evaluierung des Landesprogramms Schulsozialarbeit“ aus dem Jahr 2020 angeführt werden:

ZEP Endbericht Evaluation Schulsozialarbeit Sachsen 2020: 104; Quelle: https://www.familie.sachsen.de/download/ZEP-Endbericht-Evaluation-Schulsozialarbeit-Sachsen-2020.pdf

6. Ist Schulsozialarbeit Luxus oder ein Muss?

Schulsozialarbeit ist kein Luxus, son­dern ein unver­zicht­ba­res Angebot im heu­ti­gen Bildungssystem. Schulen sind längst nicht mehr nur Orte des Lernens, son­dern auch Lebensräume, in denen viel­fäl­ti­ge sozia­le, emo­tio­na­le und gesell­schaft­li­che Herausforderungen sicht­bar wer­den. Insbesondere das Ganztagsförderungsgesetz trägt dazu bei, dass Kinder zuneh­mend mehr Zeit in der Institution Schule ver­brin­gen kön­nen und ent­spre­chend einer adäqua­ten Betreuung bedürfen. Hier bie­tet Schulsozialarbeit eine nied­rig­schwel­li­ge, kontinuierliche
Unterstützung, die Schülerinnen und Schülern beim Bewältigen von Krisen, Konflikten oder Benachteiligungen hilft und damit Bildungschancen sichert und Chancengerechtigkeit fördert.

7. Ist eine Schulsozialarbeitsstelle an einer Schule genug?

Ob eine ein­zel­ne Schulsozialarbeitsstelle für eine Schule aus­reicht, lässt sich nicht pau­schal beant­wor­ten. Der tat­säch­li­che Bedarf hängt von einer Vielzahl an Faktoren ab. Dazu zäh­len ins­be­son­de­re die Größe der Schülerschaft, die sozio­öko­no­mi­schen Rahmenbedingungen der Schülerschaft (bspw. Migration, Erwerbstätigkeit der Eltern, Sozialleistungsbezug), die Lage der Schule (z. B. in sozi­al benach­tei­lig­ten Stadtteilen oder in länd­li­chen Regionen) sowie die Verfügbarkeit wei­te­rer unterstützender Angebote (z. B. Inklusionsassistenz, Einzelfallhilfe, Schulpsychologie).

In Schulen mit kom­ple­xen Problemlagen und einem hohen Unterstützungsbedarf ist eine ein­zel­ne Fachkraft oft nicht aus­rei­chend, da die Vielzahl an Aufgaben von einer Person nur schwer leist­bar ist.

8. Wer bezahlt die Schulsoziarbeitsstellen?

Die Schulsozialarbeit wird durch die Mittel des Land Sachsen sowie der zustän­di­gen Kommune/Gebietskörperschaft finanziert.

9. Der Freistaat bezahlt nur Schulsozialarbeitsstellen an Oberschulen kom­plett. Brauchen Gymnasien und Grundschulen kei­ne Schulsozialarbeiterin?

Kinder und Jugendliche kön­nen in ihrer Entwicklung unab­hän­gig von ihrer aktu­ell besuch­ten Schulform Unterstützung benö­ti­gen. Hierzu Verweis auf Frage 6.

10. Welche Ausbildung und Qualifikationen braucht man als Schulsozialarbeiterin?

Entsprechend der Fachempfehlung zur Schulsozialarbeit im Freistaat Sachsen müssen die täti­gen Fachkräfte „neben ihrer per­sön­li­chen Eignung über einen berufs­qua­li­fi­zie­ren­den sozi­al­päd­ago­gi­schen Hochschulabschluss verfügen“ (2017: 13).

11. Kann man mit einem Abschluss von der Studienakademie Breitenbrunn Schulsozialarbeiterin werden?

Ja, unab­hän­gig von der gewähl­ten Studienrichtung ist es mit dem Abschluss der Studienakademie Breitenbrunn (DHSN) mög­lich, als Schulsozialarbeiterin zu arbei­ten. Am bes­ten vor­be­rei­tet sind jedoch Absolvent:innen aus der Studienrichtung Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit.

12. Welchen Eindruck haben Sie: Steigt oder sinkt das Interesse an einer Ausbildung zur Schulsozialarbeiterin?

Das Interesse an einer Ausbildung ist grund­sätz­lich vor­han­den, da das Arbeitsfeld Schule ein bekann­tes und attrak­ti­ves Tätigkeitsfeld dar­stellt. Es bie­tet ver­gleichs­wei­se gere­gel­te Arbeitszeiten sowie eine enge Anbindung an ein insti­tu­tio­nel­les Setting, was für vie­le Fachkräfte attrak­tiv ist. Allerdings bestehen deut­li­che struk­tu­rel­le Hürden: Träger der öffent­li­chen Jugendhilfe sind in der Regel nicht in der Lage, die Studienvergütungen zu finan­zie­ren. Entsprechend sind es aktu­ell vor allem pri­va­te Schulträger, die als Praxispartner Studienplätze anbieten.

13. Denken Sie, dass Schulsozialarbeit ange­mes­sen gewürdigt wird?

In Bezug auf Frage 5 ist davon aus­zu­ge­hen, dass die Schulen selbst Schulsozialarbeit ange­mes­sen würdigen. Insbesondere im öffent­li­chen und nicht-schu­li­schen Diskurs scheint jedoch kei­ne ange­mes­se­ne Würdigung zu erfol­gen. Dies zeigt sich unter ande­rem in der Befristung von Arbeitsverträgen (und damit einer Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen) und der Tatsache, dass ins­be­son­de­re poli­ti­sche Akteure immer wie­der über die Notwendigkeit von Schulsozialarbeit debattieren.

14. Welche Empfehlungen haben Sie an poli­ti­sche Entscheidungsträger bezüglich Schulsozialarbeit?

Die Finanzierung der Schulsozialarbeit soll­te lang­fris­tig und ver­läss­lich gestal­tet wer­den. Idealerweise soll­te die Zuständigkeit voll­stän­dig in die Länderfinanzierung überführt wer­den, ana­log zur Vergütung von Lehrkräften durch den Freistaat, um Planungssicherheit und insti­tu­tio­nel­le Stabilität zu gewährleisten.

Darüber hin­aus ist es not­wen­dig, die Ausbildung von Schulsozialarbeiter:innen sys­te­ma­tisch zu för­dern, ins­be­son­de­re durch die Sicherstellung der Studienvergütung, um den Praxispartnern die Ausbildung von qua­li­fi­zier­ten Nachwuchskräften zu ermöglichen.

Schließlich soll­te Schulsozialarbeit als fes­ter, selbst­ver­ständ­li­cher Bestandteil schu­li­scher Infrastruktur an allen Schulformen eta­bliert wer­den. Eine flä­chen­de­cken­de Präsenz würde nicht nur die Qualität der indi­vi­du­el­len Unterstützung erhö­hen, son­dern auch die Rolle von Vertrauenslehrkräften ergän­zen oder teil­wei­se erset­zen, wodurch zusätz­li­che Unterrichtsressourcen frei­ge­setzt wer­den könnten.


„Wir bedan­ken uns herz­lich bei den Lehrenden des Studiengangs Soziale Arbeit an der DHSN Breitenbrunn für die Beantwortung der Fragen. Ich stim­me zu: Schulsozialarbeit ist kein Luxus, son­dern heut­zu­ta­ge unent­behr­lich an Schulen – auch an Gymnasien“, so Thomas Lein, Vorsitzender der SPD-GRÜNE-Fraktion. „Denn Kinder und Jugendliche benö­ti­gen unab­hän­gig von der Schulform Unterstützung in Krisen, bei Konflikten und in ihrer per­sön­li­chen Entwicklung.

Schulsozialarbeit stärkt das Miteinander, ent­las­tet Lehrkräfte und för­dert Chancengleichheit. Damit ihre Wirkung nach­hal­tig gesi­chert wird, braucht es eine ver­läss­li­che Finanzierung, aus­rei­chend Stellen und die flä­chen­de­cken­de Verankerung in allen Schulformen.“

Zuständig für Entscheidungen zur Jugendhilfe und Schulsozialarbeit ist im Erzgebirgskreis der Jugendhilfeausschuss. Dieser hat 24 Mitglieder, dar­un­ter acht Kreistagsmitglieder, die aus den Fraktionen CDU/FDP, AfD und Freie Wähler kom­men. Die SPD-GRÜNE-Fraktion hat kei­nen Sitz in die­sem Ausschuss.

Offensichtlich reicht das Geld nicht, das der Landkreis für Schulsozialarbeit zur Verfügung hat bzw. stellt. Nach aktu­el­lem Stand könn­ten vier Gymnasien und eine Grundschule von einer Streichung der Schulsozialarbeitsstelle zum Jahresende betrof­fen sein. Grundlage für die Auswahl die­ser Schulen ist eine Art Ranking, eine „prio­ri­sier­te Schulstandortliste“ des Landratsamts mit Kriterien wie Anzahl Schülerinnen/Schüler und Schulpflichtverletzung.

Dr. Elke Stadler ist für die Fraktion Mitglied im Ausschuss für Familie, Bildung, Gesundheit und Soziales: „Bei aller Skepsis gegen­über den geplan­ten Einsparungen bei der Schulsozialarbeit hal­te ich es für beson­ders bedenk­lich, wenn es auch Grundschulen betref­fen soll. Gerade in der Grundschule wer­den schließ­lich wich­ti­ge Weichen für die wei­te­re Entwicklung unse­rer Kinder auf vie­len Gebieten gestellt.“

Fraktionsmitglied Hendrik Uhlmann kri­ti­siert, dass der Landkreis die Schulsozialarbeit an den fünf Schulen nicht wei­ter för­dern will: „Die Stellen sol­len jetzt ein­ge­spart wer­den, weil es an die­sen Schulen viel­leicht aktu­ell gut oder bes­ser als an ande­ren Schulen funk­tio­niert. Dabei ist der Erfolg ein Argument für den Erhalt, nicht für die Kürzung. Werden die Schulsozialarbeitsstellen gestri­chen, eska­liert es irgend­wann wie­der. Darüber hin­aus bedeu­tet die Entlassung von Fachpersonal einen Einschnitt und Verlust. Die Sozialarbeiter müs­sen sich zwi­schen­zeit­lich neue Jobs suchen, sie zurück­zu­ge­win­nen oder neue zu fin­den, ist lang­wie­rig und ressourcenintensiv.“